Ich habe große Hochachtung vor dem Lebenswerk meiner Eltern und bin ihnen dankbar für ihr Verständnis für mein Hobby und späteren Berufswunsch trotz der damit für sie verbundenen Nachteile.
Meine Eltern Silvester 1980 (Foto: Gerlinde Reichert)
Meine Mutter im Büro der elterlichen Großhandlung in Kunststoff-Halbzeugen
(Foto: Achim Reichert)
Das Grab meiner Eltern auf dem Friedhof Köln-Rath. Meine Mutter ist zu diesem Zeitpunkt schon beerdigt, mein Vater erst vorgemerkt. (Fotograf unbekannt)
Ich habe große Hochachtung vor dem Lebenswerk meiner Eltern, vor dem, was sie gemeinsam geschaffen und wie sie gelebt haben. Wenige Jahre nach der Währungsreform schon ein frei stehendes Einfamilienhaus zu besitzen, ist für mich ebenso beachtlich wie 45 Jahre lang glücklich verheiratet zu sein, ungeachtet steigender Scheidungsraten in der Gesellschaft.
Ich bin ihnen sehr dankbar, dass sie mein Hobby Amateurfunk und Satellitenbeobachtung toleriert haben trotz der damit verbundenen Unannehmlichkeiten wie Antennen im Garten und fremden Leuten im Haus. Und dass sie mich Physik haben studieren lassen, obwohl ihnen eine kaufmännische Lehre, allenfalls ein Studium der Betriebswirtschaftslehre, für das Geschäft lieber gewesen wäre. Ein Physikstudium mit dem nahe liegenden Risiko, dass ich mal nicht ins Geschäft einsteigen, sondern beruflich etwas anderes machen würde. Sicherlich ist da auch bei uns drüber diskutiert, vielleicht auch gestritten worden, aber nicht mit der Verbissenheit, mit der andere Selbstständige früher ihre Kinder in die Nachfolge gezwungen haben.
Ich habe dies insbesondere meiner Mutter als verständnisvoller Wegbereiterin elterlichen Wohlwollens zu verdanken.
Im Gegenzug habe ich mich als Werkstudent im elterlichen Unternehmen nützlich gemacht, wann und wo immer es mir möglich war. Vom Versand über Werbung bis zur Buchführung. Es war mir nicht nur moralische Verpflichtung, sondern hat – ehrlich gesagt - auch Spass gemacht. Und ich habe viel dabei gelernt. Den größten Nutzen brachte eine Rationalisierungsmaßnahme, für die es damals noch keine Computer und Software gab: Mit einem Durchschreibesatz von Formularen erreichte ich, dass keine Daten zweimal eingegeben werden mussten, von der Auftragsbestätigung über den Lieferschein bis zur Rechnung. Bei dieser Gelegenheit schuf ich auch das, was man heutzutage "Corporate Identity" nennt, inclusive einer firmenspezifischen Schrift und einem Firmenlogo, die sich in allen Inseraten wiederfanden.
Einen Satz aus dem abschließenden Zeugnis meiner Eltern könnte man elterlichem Wohlwollen zuschreiben, wenn er sich nicht später in ähnlicher Form auch in Zeugnissen bekannter Großunternehmen wiedergefunden hätte: "Herr Reichert ist durch seine Vielseitigkeit, Ausdauer und die Gabe, sich in jede Thematik einzuarbeiten, dazu prädestiniert, aus dem Durchschnitt fallende Aufgaben zu erledigen."
Als ich mit 26 Jahren meine spätere Frau kennenlernte, wir uns Hals über Kopf verliebten, verlobten und heirateten, ohne dies zu „müssen“, kam es zu einer nachhaltigen Entfremdung zwischen meinen Eltern und mir. Mit der Schnelligkeit und Radikalität des Abnabelns überforderte ich sie, zumal ich mit meinem Studium noch nicht ganz fertig war, wenig verdiente und noch keine Familie ernähren konnte.
Mit meiner Frau und mir ist es – Gott sei Dank – gut gegangen. Bis zu ihrem Tod waren wir 47 Jahre glücklich verheiratet und ich habe seither viel Geld verdient. Ich habe mich aber oft gefragt, ob ich nicht mit behutsamerer Vorgehensweise und sorgfältigerer Wortwahl diese Entfremdung hätte verhindern können, ohne mein Kernanliegen zu gefährden. Damals hielt ich es für notwendig, um gar nicht erst eine Diskussion über mein Tun aufkommen zu lassen. Eine Diskussion, die mein Vater erfahrungsgemäß dazu genutzt hätte, der weiteren Entwicklung seinen Stempel aufzudrücken oder sie sogar zu verhindern.