Es verdient Respekt, wie Alexander mit viel Geduld und Lebenswillen eine schwere Erkrankung in früher Jugend überstanden, das Versäumte nachgeholt und was er seither aus seinem Leben gemacht hat. Die Folgen dieser Erkrankung schränken aber noch heute seine Lebensqualität ein.
Vater und Sohn helfen der Mami in Nürnberg beim Plätzchen backen
(Foto: Gerlinde Reichert)
Beim Urlaub auf der Insel Ischia im Golf von Neapel. Wegen Therapieschäden nach überstandener Leukämie ist Alexander auf Krücken angewiesen. (Foto: Achim Reichert)
Vater und Sohn Silvester in unserem Haus in Hamburg
(Foto: Gerlinde Reichert)
Alexander hatte als Kleinkind großen Liebreiz und uns als Eltern viel Freude bereitet. Ich wollte ihm ein guter Vater sein und meiner Frau, so gut es ging, helfen. Als sie mit dem Baby nach der Entbindung nach Hause kam, waren im Kinderzimmer schon alle Vorbereitungen für einen reibungslosen Ablauf getroffen, incl. einer Tagesration Milchfläschchen. Rationalisierung gehörte schließlich zu meinen beruflichen Aufgaben. So blieben meiner Frau die Tränen erspart, die junge Mütter vielfach in den ersten Tagen weinen, wenn sie sich überfordert fühlen. Meine Frau und ich hatten sich die Arbeit so eingeteilt: Wenn´s draußen hell war, war sie dran, wenn´s dunkel wurde, ich.
Leider trübte sich das herzliche Verhältnis zwischen Vater und Sohn in den Folgejahren ein. Das lag, etwas allgemein ausgedrückt, daran, dass Väter nicht immer nur lieb und nett sind, sondern mitunter Leistungserwartungen und Beurteilungsmaßstäbe haben, die als zu hoch oder ungerecht empfunden werden.
So gelang es mir in Kleinkindtagen von Alexander nicht, ihm seinen Namen und seine Adresse beizubringen, falls er mal im Gedränge verloren gehen sollte. Als er nach einem dieser vergeblichen Versuche weinend in sein Zimmer rannte, wiederholte er dort genau das, was er uns partout nicht sagen wollte - also Trotz und keine schlechte Auffassungsgabe. Wie er viele Jahre später einräumte, wollte er "nicht vorgeführt" werden. Weshalb wir das damals von ihm verlangten, sah er noch nicht ein.
Richtig ernst wurde es im ersten Jahr auf dem Gymnasium. Seine Klassenlehrerin sprach uns an, dass Alexander im Unterricht regelrecht einschläft. Ob das Kind etwa zu wenig Schlaf hätte. Dem war natürlich nicht so. Zunächst dachten wir, er fühle sich dort überfordert, und schickten ihn stattdessen auf ein Privatgymnasium. Zunächst half das auch, bis er krank wurde. Nicht schlimm, scheinbar nur eine Erkältung, die unser Kinderarzt aber nicht in den Griff bekam. Als er sich keinen Rat mehr wusste, überwies er Alexander in eine Kinderklinik, die akute lymphatische Leukämie diagnostizierte und ihn an die Hamburger Universitäts-Kinderklinik überwies.
Alexander war damals 11 Jahre alt. Bis alles rum war, abgesehen natürlich von Nebenwirkungen und Folgeschäden, war er 18. Eine traurige Jugend kann man diesen Zeitabschnitt eigentlich nicht nennen; sie hat schlichtweg nicht stattgefunden.
Selbst Zuschauer der José Carreras Spendengala können nur ahnen, in welche Tiefen seines noch jungen Lebens eine solche Krankheit Kinder und Jugendliche stößt. Die von heute auf morgen keine Freunde und Klassenkameraden mehr empfangen dürfen, die sich schmerzhaften Untersuchungen und Behandlungen unterziehen müssen, deren Sinn sie kaum verstehen, und die mit teils so gravierenden Nebenwirkungen zu tun haben, dass sie an der Sinnhaftigkeit des Ganzen zu zweifeln beginnen. Und die mitbekommen, dass nicht jeder Mitpatient diese Krankheit überlebt. Mitpatienten, die genauso gehofft haben wie sie.
Auch Alexander hätte diese schlimme Krankheit um´s Haar nicht überlebt, hätten nicht die Ärzte in Unkenntnis der Ursache intuitiv das Richtige getan. Kaum gelebt mit dem Tod konfrontiert zu werden, ist eine unvorstellbare psychische Belastung. Sie verändert die jungen Patienten und lässt sie vorzeitig erwachsen werden, ohne die Zeit zur Reife gehabt zu haben.
Was meine Frau in dieser schwierigen Zeit für Alexander getan hat, können Sie ihrer Seite Ehefrau Gerlinde Reichert entnehmen.
Nicht nur Alexander hat über den Sinn und die Erfolgschancen der ganzen Tortur nachgedacht, wenn er aus seinem Bett stundenlang grübelnd die Zimmerdecke anstarrte. Als Eltern haben wir uns natürlich auch immer wieder gefragt, was wir ihm da alles zumuten. Es hat unsere Selbstzweifel entlastet, als Alexander eines Tages meiner Frau als Ergebnis all seines Grübelns sagte, er wolle unter allen Umständen gesund werden und nicht aufgeben. Er hatte sich für das Leben entschieden. Eine unverzichtbare Voraussetzung für den Heilungserfolg.
Während sich meine Frau in jener Zeit auf das Nächstliegende konzentrierte, beschäftigten mich auch längerfristige Überlegungen: Wie gesund und wie belastbar wird er dann sein? Was wird an Therapieschäden dauerhaft bleiben? Wie kann er die vielen Jahre fehlenden Schulbesuchs aufholen? Wird er beruflich mal seinen Mann stehen können? Schließlich hat er als Folge von Therapieschäden jahrelang im Rollstuhl gesessen und anschließend viele Jahre lang zur Schonung geschädigter Gelenke Krücken benutzt.
Wie bereits erwähnt, durfte Alexander wegen passiver Ansteckungsgefahr keine Klassenkameraden als Besuch empfangen. "Passiv" heißt, seine Krankheit war zwar nicht ansteckend, aber seine Klassenkameraden hätten ihn mit irgendetwas anstecken können und sein geschwächtes Immunsystem wäre damit nicht fertig geworden. Dadurch ging bald auch der Kontakt zu seiner ehemaligen Klasse verloren. Hinzu kam, dass seine Klassenlehrerin es nicht vermochte, seine Klassenkameraden über Alexanders Krankheit sachgerecht zu informieren. Infolgedessen entstanden die wildesten Gerüchte, was Alexander hätte.
Zunächst erhielt Alexander im Auftrag der Hamburger Schulbehörde Hausunterricht; im Rahmen des Möglichen, d.h. wenn sein Gesundheitszustand es zuließ. Als es ihm dann besser ging, buchten wir für ihn einen Fernlehrgang, den das Auswärtige Amt für deutsche Schüler im Ausland hat entwickeln lassen. Um ihn für Alexander als Sonderfall buchen und benutzen zu dürfen und seine Ergebnisse anerkannt zu bekommen, brauchten und erhielten wir die Genehmigung des Auswärtigen Amtes und der Hamburger Schulbehörde.
Als schließlich auch das möglich war, schickten wir Alexander auf Anraten seiner Betreuerin vom Fernlehrgang zur Privatschule Hermanneum in Hamburg-Kleinflottbek. Hier bestand er zwar die Verbandsabschlussprüfung der Realschule; diese war aber nicht staatlich anerkannt. Den staatlich anerkannten Realschulabschluss erlangte er dann schließlich 1995, also im Alter von 22 Jahren, als Fremdenprüfung der Hamburger Schulbehörde. Wer sich einigermaßen im Schulwesen auskennt, der weiß, dass das Bestehen einer Fremdenprüfung durch eine staatliche Prüfungskommission an einer fremden Schule erheblich schwerer ist als die Prüfung durch die Lehrer der eigenen, lange besuchten Schule, die den Prüfungsstoff ausführlich behandelt haben.
Abitur und Hochschulstudium erschienen uns nach Lage der Dinge ein zu ehrgeiziges Ziel. So sollte es denn wenigstens die Fachhochschulreife sein, für viele Berufe eine wichtige Voraussetzung. Eine der Möglichkeiten, sie zu erlangen, war damals in Hamburg der erfolgreiche Abschluss einer Höheren Handelsschule und ein einjähriges Industriepraktikum, das Alexander bei der Pharmafirma AstraZeneca im benachbarten Wedel absolvierte. 2001, also im Alter von 28 Jahren, erhielt er dann von der Hamburger Schulbehörde die Fachhochschulreife bescheinigt - bei seinen gesundheitlichen Erschwernissen in der Tat eine reife Leistung. Dazu gehört auch, dass er als eine der Nebenwirkungen der Leukämiebehandlung noch jahrelang auf Krücken angewiesen war, weil seine Knochen und Gelenke erheblichen Schaden genommen hatten.
Dabei waren die Krücken schon ein Fortschritt; denn die ersten Jahre nach der Leukämie war er auf einen Rollstuhl angewiesen, um die stark geschädigten Gelenke möglichst wenig zu belasten. Mit ihm waren wir sogar per Flugzeug im Urlaub. Alexander wurde mit hydraulischer Hebebühne zum rückwärtigen Eingang hochgefahren und anschließend der Rollstuhl zusammengeklappt im Gepäckraum verstaut. Auf die Krücken hat er erst in Bad Dürrheim auf Anraten des hiesigen Orthopäden versuchsweise verzichtet und bisher klappte es ohne.
Dafür bildete sich in Bad Dürrheim ein neues Problem heraus, das ihm heutzutage mehr zu schaffen macht als alles Bisherige: Sein Körper hatte die Produktion des lebenswichtigen Cortisols eingestellt. Die Folgen sind mannigfaltig, vor allem aber verringerte Belastbarkeit, geringere Körpertemperatur und Neigung zu Entzündungen aller Art. Cortisol wird in der Nebennierenrinde hergestellt. Über die Menge entscheiden die Hirnanhangdrüsen Hypothalamus und Hypophyse in einem Regelkreis. Untersuchungen des behandelnden Facharztes für Endokrinologie ergaben, dass letztlich alle drei Partner dieses Regelkreises ihre Tätigkeit mehr oder weniger eingestellt haben.
Wurde zunächst vermutet, dies sei die Folge jahrelanger Cortisonbehandlung, äußerte der Endokrinologe durch ähnliche Fälle in seiner Praxis schließlich die Vermutung, dies sei die Spätfolge von Schädelbestrahlungen im Rahmen der Leukämiebehandlung. Ich fand schließlich im Internet die Dissertation einer jungen Ärztin an der Universität Ulm, die in Form eine Metastudie aufzeigte, dass es bei Leukämiepatienten durchaus noch zig Jahre nach Schädelbestrahlungen zu einem Versagen der dort ansässigen Hirnanhangdrüsen und damit zum Ausfall der Cortisolproduktion kommen kann.
Es ist „zu kurz gesprungen“, wenn es in den versorgungsmedizinischen Grundsätzen heißt, Nebenniereninsuffizienz sei in der Regel gut beherrschbar und daher kein Grund, sie im Grad der Behinderung zu berücksichtigen. Theoretisch kann der Patient zwar mehr Hydrocortison in Tablettenform zu sich nehmen, wenn er mit der empfohlenen Dosierung nicht auskommt. Dem reaktionsschnellen Regelkreis der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse eines Gesunden gegenüber ist der Patient mit einer Substitution in Tablettenform immer unterlegen. Entweder er nimmt zu wenig mit den oben genannten Folgen oder zu viel mit dauerhaften Gesundheitsschäden, insbesondere in Form von Osteoporose.
Zu den Schwierigkeiten, die viele Eltern bei der Berufswahl mit ihren Kindern haben, nämlich Neigung, Talent und berufliche Perspektiven unter einen Hut zu bringen, kamen bei Alexander noch die gesundheitlichen Erschwernisse hinzu. So mussten leider mehrere Hochschulbesuche wieder abgebrochen werden, weil er entweder als Folge des lückenhaften Schulbesuchs Wissenslücken hatte oder weil er für die Belastungen eines Studienalltags körperlich zu stark gehandikapt war.
Als Interessenschwerpunkt kristallisierte sich bei Alexander zunehmend die Mediengestaltung heraus. Beim Studium an der renommierten Hochschule für Medien in Stuttgart hatte er aber ebenso wie zuvor in Offenburg den Eindruck, dass den Nebenfächern zur Erlangung des Vordiploms zu viel Raum eingeräumt wird und das, was ihn eigentlich interessiert, dabei zu kurz kommt oder sogar schon als bekannt vorausgesetzt wird. Oder auf einen kurzen Nenner gebracht: Zu viel Theorie und zu wenig Praxis.
So entschloss er sich dann endgültig, den Hochschulweg zu verlassen und sich zunächst autodidaktisch auf dem Gebiet der Mediengestaltung weiterzubilden und dieses Wissen dann mit staatlich anerkannten Fernlehrgängen der Studiengemeinschaft Darmstadt (SGD) zu systematisieren und zu vertiefen. Das hatte für ihn den großen Vorteil, dass er zu Hause arbeiten und den Lernfortschritt seinen gesundheitlichen Gegebenheiten anpassen konnte. Das war in der Tat eine seiner besten Entscheidungen.
Denn sowohl den ersten Fernlehrgang "Grafikdesign am PC" als auch den zweiten "Geprüfter Webdesigner" schloss er mit "Sehr gut" ab. Als Eltern hatten wir den Eindruck, dass das Lehrmaterial und die Prüfungsaufgaben anspruchsvoll waren und den Studierenden nichts geschenkt wurde. Da ich selbst mehrere Jahre als Webdesigner tätig war, konnte ich mir dieses Urteil durchaus erlauben. Von Alexanders Abschlussarbeit als Webdesigner war sein Betreuer so angetan, dass er ihn über das Zeugnis hinausgehend auch brieflich nochmal gelobt hat, zumal Alexander in seine Arbeit mehr hat einfließen lassen als verlangt war.
Das Diplom der Studiengemeinschaft Darmstadt (SGD) für den „Sehr gut“
absolvierten Fernlehrgang „Grafik-Design am PC“
Alexander Reichert im Januar 2020 in seinem Büro und Atelier für das Design von Grafik,
Web und Video
Das Zertifikat der Studiengemeinschaft Darmstadt (SGD) für den „Sehr gut“
absolvierten Fernlehrgang „Geprüfter Web-Designer“
Alexander ist nun seit Oktober 2015 in Bad Dürrheim/ Schwarzwald-Baar-Kreis als Designer für Grafik, Web und Video selbstständig. Selbstständigkeit ermöglicht es ihm am ehesten, Gesundheit und Beruf, Biorhythmus und Arbeitsrhythmus in Einklang zu bringen und in der Kunst des Machbaren immer besser zu werden. Gesundheitliche Einschränkungen, direkt oder indirekt als Folge der Leukämiebehandlung, werden ihn schließlich sein ganzes Leben begleiten.
Zwar gibt es heute viele Autodidakten, von denen Freunde, Verwandte und Bekannte behaupten, dass sie "auch so was könnten". Alexander hat das aber systematisch in staatlich überprüften Lehrgängen gelernt und in Prüfungen das Erlernte unter Beweis gestellt. Anhand ehrgeiziger Projekte (siehe unten) hat er sich inzwischen viel zusätzliches Wissen angeeignet. Insbesondere hat er seinen Mitbewerbern aber ein umfangreiches Wissen über die rechtlichen Anforderungen an seine Tätigkeit voraus. Aneignung und Anwendung dieses Wissens macht einen um größer werdenden Anteil seiner Tätigkeit aus.
Außer dem vorliegenden Re-Design unserer Familienseite zeigen folgende Beispiele, was er inzwischen so drauf hat: